HLA Gernsbach

Stellungnahme im Kreistag am 18. Mai 2021

Liebe Anwesende,

wenn Sie heute mit der Erwartung hierher gekommen ist, dass der Kreistag eine „gute“ oder „die richtige“ Entscheidung trifft, dann muss ich enttäuschen: eine wirklich gute Option kann ich nicht erkennen – alle Optionen sind mehr oder weniger unbefriedigend. Und was heute „richtig“ wäre, wird man erst in einigen Jahren im Rückblick beurteilen können.

Deshalb soll bitte niemand für sich beanspruchen, zu wissen, was jetzt gut und richtig sei.

Angesichts dessen werden wir Bündnisgrünen uns an die Fakten halten. Diese sind in der Präsentation der Verwaltung übersichtlich und seriös dargestellt.

Wo Fakten fehlen, müssen wir Wahrscheinlichkeiten einschätzen, die Chancen gegenüber den Risiken abwägen.

Es mag politisch erfolgversprechend sein, dem Murgtal den Fortbestand der HLA zuzusichern – aber wer das tut, sollte ehrlicherweise auch sagen, was der Preis dafür sein könnte: ein weiterer kontinuierlicher Schrumpfungsprozess, auf den wir als Kreistag kaum noch Einfluss nehmen können. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass die optimistischen Szenarien ausgeschlossen sind – aber ich halte sie nicht für wahrscheinlich.

Offensichtlich, das entnehme ich den zahlreichen eMails und Presseartikeln, besteht bei manchen Menschen das Bedürfnis, „Schuldige“ für die Misere zu finden. Wahlweise genannt werden hier u.a.:

  1. die Schulleitung
  2. des Landratsamt
  3. das Regierungspräsidium
  4. die CDU-Connection im Murgtal
  5. Die Unterwerfung der Bildung unter das Effiziensdenken des Kapitalismus
  6. Demnächst auch: die Kultusministerin

(mehrere Antworten sind möglich)

 Wir Bündnisgrünen wollen weg von den Schuldzuweisungen. Ganz abgesehen davon, dass sie sich manchmal hart an der Grenze zur Verleumdung bewegen, sind sie allesamt nicht schlüssig und nicht stichhaltig. Wer die HLA Gernsbach gern am langen Arm verhungern lassen würde, hätte schon längst Zeit dafür gehabt. Ganz im Gegenteil haben seit nunmehr zwei Jahrzehnten laufend und zahlreich Stützungsmaßnahmen stattgefunden. Und auch in das Gebäude hat der Landkreis bis zuletzt erhebliche Summen investiert (z.B. für Brandschutz, Barrierefreiheit).

Allen sollte klar sein: falls sich heute eine Mehrheit gegen eine Aufhebung  entscheiden sollte, wäre der Erhalt der HLA damit keineswegs gesichert. Der Schrumpfungsprozess müsste nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt werden.

Nun ist es ja nicht so, dass die Bevölkerungsentwicklung ein Blick in die Glaskugel wäre: die Jugendlichen, die in den kommenden 15 Jahren die HLA besuchen könnten, sind alle schon geboren. Und selbst 2030 werden es noch weniger sein als heute. Woher also sollen die zusätzlichen Schüler*innen kommen? Zudem zeigen unsere Statistiken, dass die Schüler*innenzahlen an der HLA kontinuierlich schneller zurückgehen, als die Bevölkerungsentwicklung das erwarten liese.

Dies ist letztlich eine Entwicklung, auf die man nur in geringem Maße Einfluss nehmen kann, wenn man nicht gleichzeitig anderen Berufsschulen schaden will. 2012 haben wir die Wirtschaftsoberschule von Baden-Baden nach Gernsbach verlegt. Niemand hat sich damals beschwert über die zusätzlichen Wege, die dadurch für Schüler*innen aus Baden-Baden und der Rheinebene entstanden sind. Aber wenn weitere Wege selbst für Berufsschüler*innen als unzumutbar empfunden werden – wie können wir dann geistig behinderten Grundschüler*innen den Weg in die Pestalozzi-Schule zumuten?

Insgesamt hat der Landkreis in den vergangenen zwei Jahrzehnten sieben Bildungsgänge zusätzlich an der HLA angesiedelt. Was ist davon geblieben? Drei sind bereits weggefallen, die Wirtschaftsoberschule ist gefährdet, und nur einer ist auf niedrigem Niveau stabil. Daran hat auch die Daimler AG einen gewissen Anteil, deren Betriebsrat es nun für angebracht hält, zum Erhalt der HLA aufzurufen.

Ein weiterer Transfer bestehender Bildungsgänge von anderen Berufsschulen nach Gernsbach steht für uns somit nicht zur Diskussion.

Was die HLA für einen gesicherten Fortbestand bräuchte, wären also wirklich neue, innovative Bildungsgänge. Zündende Ideen in dieser Richtung habe ich aber in sämtlichen öffentlichen Appellen oder persönlichen Gesprächen vergeblich gesucht. Die SPD ist sicherlich eine erfolgreiche Ratgeberin, wenn es darum geht, einen Abwärtstrend umzudrehen. Inhaltsleeres Sprachgeklimper wie: man müsse „den Mosaikstein im Attraktivitätsportfolio aufpolieren“ helfen da nicht weiter. Wenn sich Politik darin erschöpft, dass die einen fordern, dass sich die anderen gefälligst etwas einfallen lassen sollen, kann das am Ende nur zu Frust führen.

Liebe Schüler*innen der HLA, wir haben großen Respekt davor, wie Ihr Euch für Eure Schule einsetzt. Ihr habt ja recht: die HLA ist eine ganz hervorragende Schule – und trotzdem gibt es anscheinend immer weniger junge Menschen, die ihre Bildungsangebote in Anspruch nehmen wollen. Ihr Angebot richtet sich nicht allein an das Murgtal, sondern an alle Jugendlichen Mittelbadens. Insgesamt kommt ein Drittel aller Schüler*innen gar nicht aus dem Murgtal.

Zuständig für die flächendeckende Versorgung mit Beruflichen Schulen sind der Kreistag und das Regierungspräsidium. Ab 2015 mit dem bündnisgrünen Vittorio Lazaridis als Schulpräsident, heute mit seiner Nachfolgerin Anja Bauer. Grundlage für ihr Handeln ist das Schulgesetz.

Dieses seit 2012 geltende Schulgesetz stammt aus der Werkstatt von Grün-Rot. SPD und Bündnis90/Die Grünen haben es gemeinsam verabschiedet. Wir haben die Gemeinschaftsschule eingeführt, und haben harte Mindestgrößen (40 Schüler*innen in den Eingangsklassen, langfristig und prognostizierbar, und es gibt keine Ausnahmen!) und Untergrenzen festgelegt. Entsprechende Vorgaben gelten auch für die Beruflichen Schulen. Sie dienen einerseits dem sinnvollen Einsatz der Ressourcen an Personal und Gebäuden, im Kern geht es aber um pädagogische Fragen: Klassen sollen nicht zu groß, aber auch nicht zu klein sein. Small is beautiful. Aber ist auch immer kleiner immer noch besser?

Nun lenkt ja die SPD die Hoffnungen auf die neue, grüne, Kultusministerin. Ja, das letzte Wort hat in jedem Fall das Kultusministerium. Aber auch eine grüne Kultusministerin wird sich an das Schulgesetz halten müssen. Und von einer Änderung des Schulgesetzes ist im neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag nirgends die Rede.

Von der Stärkung der ländlichen Raums sehr wohl. Und zu dem gehört Gernsbach nicht. Im Landesentwicklungsplan bilden Gaggenau und Gernsbach sogar gemeinsam ein Mittelzentrum. Da sollte man in Gernsbach schon mal am eigenen Selbstverständnis arbeiten. 

Auch der Hinweis auf den Klimaschutz könnte sich als Bumerang erweisen: den möglichen Energieverbräuchen durch weitere Anfahrtswege stehen Energieeinsparungen durch Schließung eines Gebäudes gegenüber.

Ich bitte Sie, liebe Kreisrät*innen, deshalb nicht nur um Zustimmung zu der nun fälligen Entscheidung, sondern auch darum, die wirklichen Zusammenhänge nach außen zu tragen, anstatt Hoffnungen zu wecken, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllen werden und nicht erfüllen lassen.

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