gehalten am 11. Februar 2025
von
Manuel Hummel
– es gilt das gesprochene Wort –
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN
im Rastatter Kreistag
Sehr geehrter Herr Dusch,
im Dezember 2021 haben Sie den Haushalt eingebracht unter dem Motto „Bridge over troubled water“. Dahinter stand vermutlich die Hoffnung, dass auf der anderen Seite des trüben Gewässers wieder ein solider Untergrund auf Sie und uns warten würde.
Daran musste ich denken, als beim Neujahrsempfang in Hügelsheim gespielt wurde: „Über sieben Brücken musst Du gehen“. Dieser Haushalt wäre demnach die vierte Brücke – und die Wasser darunter sind nicht nur trüb, sondern wild und tief.
Dabei geben die Zahlen im Haushalt gar nicht die vollständige Situation im Landkreis wieder. Der Blick auf die Kreisstraßen und insbesondere deren Brücken zeigt beispielhaft, wohin es führt, wenn wir die implizite Verschuldung nicht mitbewerten. Der Substanzverlust dort wird im laufenden Jahr über 6 Mio € betragen! (Bedarf laut Straßenbauamt rund 10 Mio €/Jahr, vorgesehen für Deckensanierungen im Haushalt 2,9 Mio, dazu kleinere Einzelbaumaßnahmen)!
Eine Erhöhung der Kreisumlage um 3 Prozentpunkte ist in der Geschichte des Landkreises ohne Beispiel. Dass sie dennoch fraktionsübergreifend geschluckt wird zeigt den Ernst der Lage. Allein schon aus diesem Grunde werden wir GRÜNE diesem Haushalt zustimmmen – nicht, weil wir 3% prima fänden, sondern weil wir die schiere Notwendigkeit anerkennen.
Bereits der Anteil des Landkreises an Verlustausgleich (9 Mio €) und Investitionskostenzuschuss (4,5 Mio €) für das Klinikum Mittelbaden entspricht 3,5 Prozentpunkten Kreisumlage!
3% Erhöhung auf einen Schlag sind aber auch die logische Konsequenz dessen, was über Jahre hinweg versäumt wurde. Ich habe immer wieder vorgerechnet, um wie viel besser wir dastehen würden, wenn wir die Kreisumlage wenigstens auf dem Niveau des Landesdurchschnitts erhoben hätten (28 Mio € zusätzlich in den Jahren 2012 – 2019).
Aber das Lamentieren über frühere Versäumnisse hilft uns heute nicht weiter.
Auch nicht das durchaus berechtigte Lamento über die Versäumnisse von Bund und Land.
Die Schulden der öffentlichen Hand betrugen Ende September 2024:
Bund: 1700 Mrd € (1719 Mrd €)
Länder: ca. 1/3 (606 Mrd €)
Kommunen: weniger als ein Zehntel! (163 Mrd €)
Mit Blick auf diese Zahlen erscheint es mir nicht erstaunlich, dass in Berlin parteiübergreifend die Meinung herrscht, jetzt wären auch mal die Kommunen dran mit Schulden machen. Aber das ist gefährlich zu kurz gedacht: denn nur der Bund kann über Staatsanleihen frisches Geld schöpfen, während die Kommunen früher oder später ein Fall für die Rechtsaufsicht werden und ihre vom Grundgesetz garantierte Selbstverwaltung letztlich einbüßen.
Darin, dass die Bundesrepublik Deutschland einen eklatanten Investitionsstau hat, sind sich inzwischen alle Fachleute einig. Frisches Geld muss also vom Bund kommen!
Gerade deshalb ist es allerdings ziemlich schräg, wenn CDU, FDP und Freie Wähler nach Geld vom Bund rufen (wie auch hier soeben geschehen), gleichzeitig aber mit dem Bleifuß auf der Schuldenbremse stehen.
Erst recht fatal für die Kommunen wäre die von der CDU angedrohte Umverteilung von unten nach oben mit Abschaffung des Bürgergeldes bei gleichzeitigen Steuergeschenken für Reiche. Vom libertären Programm der Milliardärsfreunde aus der AfD ganz zu schweigen. Würde all das umgesetzt, würden die Belastungen für unseren Sozialhaushalt nicht geringer, sondern im Gegenteil höher, weil diese Republik immer noch qua Verfassung ein „sozialer Bundesstaat“ ist und das Verfassungsgericht darüber wacht, dass das wirtschaftliche Existenzminimum gesichert bleibt.
1 % der Menschen in Deutschland besitzt mehr als ein Drittel des gesamten Vermögens, die ärmere Hälfte der Bevölkerung fast nichts.
Angesichts der angekündigten Entlastungen für das obere 1 % ist es umso mehr auch unsere Aufgabe für die Schwächsten zu sorgen. Sie sind Teil der Gesellschaft und haben keine Lobby hier im Kreistag. Deshalb fänden wir GRÜNEN es geradezu beschämend, ausgerechnet an armen Kindern und Obdachlosen sparen zu wollen.
Auch der Abbau unserer angeblich „überbordenden“ Bürokratie wird oft und gern gefordert. Dahinter verbirgt sich leider allzu oft der Versuch, Errungenschaften im Umweltschutz und im sozialen Bereich zurückzudrehen. Außerdem ist es nun mal so, dass in Deutschland ein ausgeprägtes Bedürfnis nach individueller Gerechtigkeit herrscht. Dies führt zu fein ziselierten Gesetzen, die allen Eventualitäten gerecht werden sollen, und letztlich in der Umsetzung zu einem extrem hohen bürokratischen Aufwand. Dies gilt auch für unsere eigenen Satzungen! Eine gesetzeskonforme Berechnung der Elternbeiträge in der Kindertagespflege wäre mit einem vereinfachten Modell der Beitragserhebung ohne aufwändige Einzelprüfung des Elterneinkommens bei deutlich geringerem Personalaufwand möglich! Oder nehmen sie unsere Diskussion über die Schülerbeförderungskosten, als es darum ging, die durch das Jugendticket BW entstandenen Mehraufwendungen ab Klasse 5 sozial abzufedern.
Das effektivste Mittel gegen Bürokratie und Kontrollwahn wäre übrigens immer noch das Bedingungslose Grundeinkommen.
Welche Möglichkeiten haben wir sonst noch, unsere Finanzsituation nachhaltig und langfristig zu verbessern?
- Raus aus den maroden Strukturen unserer drei Krankenhäuser und rein in ein neues Zentralklinikum.
Das tun wir – und wir wären damit schon längst viel weiter, wenn uns nicht laufend Knüppel zwischen die Beine geworfen würden.
- Den Mobilitätspass einführen
Mit diesem Angebot folgt die Landesregierung dem Jahrzehnte alten Wunsch der Kommunen, eine eigene Einnahmequelle für den öffentlichen Personennahverkehr zu haben. Leider wurde gerade von der Regierungspartei, die sich hier im Kreistag als Sachwalter der kommunalen Interessen geriert, ein wichtiger Baustein aus dem Gesamtpaket herausgebrochen, nämlich die Arbeitgeberabgabe!
- eine korrekte Einstufung der Straßen im Landkreis umsetzen und diejenigen Straßen, für die wir wirklich zuständig sind, gut in Schuss halten.
Zwei millionenschwere Straßenbaumaßnahmen werden wir in den kommenden Beratungen zumindest in Frage stellen:
- Ausbau der Kreisstraße (K3737) zwischen Muggensturm und Bischweier
- Ersatzneubau der „Ochsenbrücke“ in Hilpertsau
Im Übrigen ist es nicht so, dass wir Bündnisgrünen mit dem Haushalt 2025 unzufrieden wären! Bei wesentlichen Punkten hat der Kreistag der Versuchung zur Streichung widerstanden. Dazu gehören die weitere Umsetzung des Radverkehrskonzepts, klimawirksame Baumaßnahmen am Landratsamt und den kreiseigenen Schulen (Carl-Benz-Schule, Solarcampus in Bühl, die Generalsanierung des Technischen Gymnasiums an der Josef-Durler-Schule), die Obstbauberatung und die Einführung eines Landarztstipendiums. Die Mittel für den „Feuervogel“ werden sogar um 10 000 € erhöht (auf 75 000 €)!
Wie immer möchte ich mich auch in diesem Jahr im Namen meiner Fraktion bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die geleistete Arbeit bedanken, die in Zeiten des Fachkräftemangels, globaler Minderausgaben und eines wachsenden Aggressionspotentials nicht leichter geworden ist. Ebenfalls bedanke ich mich bei Ihnen für Ihre stete Bereitschaft, unsere nicht wenigen und oft detaillierten Fragen zu beantworten. Das Recht, Fragen zu stellen und auch Antworten darauf zu erhalten, ist uns Kreistagsmitgliedern zwar in der Landkreisordnung garantiert. Wie damit umgegangen wird, wie präzise Fragen beantwortet werden und wie offen sich die Verwaltung auch gegenüber unangenehmen Fragen gibt, ist für uns ein Gradmesser für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
In all meinen Jahren im Kreistag habe ich mich stets darauf verlassen, dass sich die Beschlüsse des Kreistags auch im Haushalt abbilden. Wenn aber, wie jetzt geschehen, ein Beschluss des AUBP nicht in den Haushalt übernommen wird, wenn andererseits ein Haushaltstitel auftaucht, für den es keine Beschlusslage gibt, wenn Posten im Haushalt stehen, deren Grundlage längst entfallen ist – dann hinterlässt das Spuren und führt zu weniger Vertrauen und mehr Kontrolle. Und das ist ja nun gerade das Gegenteil dessen, was wir alle wollen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und schließe – vielleicht ungewöhnlich, aber ganz passend zu einer Haushaltsberatung – mit der Jahreslosung 2025, geschrieben von Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki:
„Prüft alles – und behaltet das Gute!“
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